Das gepflegte Gespräch

Einen seit Jahren beobachtbaren Trend bemerke ich auch in meinen Coaching-Begegnungen: das Bedürfnis vieler Klienten nach einem tiefgehenden Dialog, einem Gespräch, das den Titel noch zu Recht trägt. Nicht, dass es keine Herausforderungen oder Probleme mehr gäbe, mit denen ich als Coach konfrontiert würde. Aber eine zunehmende Zahl von Coachees nutzt die einmal festgelegte „Auszeit“ aus dem täglichen – ja was sage ich?: „Wahnsinn“? „Gewohnten“? – Fieber, um im Gespräch das ganz andere, die Distanz zum Normalen zu finden. Ein Arbeitstag, der mit so vielen Soundbytes und Infobröseln gespickt ist, der auf Geschwindigkeit und Dynamik um fast jeden Preis getrimmt ist, gibt dem Nachdenken an sich kaum noch Raum. Im Coaching-Gespräch aber darf auch dies noch seinen Platz haben…Am besten, wenn die Umstände auch noch einen peripatetischen Gang ermöglichen. Der gemeinsame Spaziergang – schon der Begriff erscheint etwas ältlich, nicht zu dieser Zeit gehörig – verbindet achtsame Bewegung in frischer Luft, mehr oder minder anregende Augenreize und ein nicht zielloses, aber eben nicht vom Zeitdruck geprägtes Miteinander im Dialog.  Der Gewinn ist schon an den leicht geröteten Gesichtern und dem stillen Funkeln der Augen unmittelbar danach ablesbar. Abgesehen davon gibt es genügend Studien, die belegen, dass das schlichte Gehen ebenso gesundheitsförderlich wie mental stärkend wirkt.

Meine Mutter erzählte mir in ihren letzten aktiven Jahren als Apothekerin immer öfter von Menschen, die gar nichts oder nur vorgeschobene Kleinigkeiten kauften, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Meist war Alterseinsamkeit der Grund. Die Bindewirkung von sozialen Netzen wie der Kirchengemeinde ist offensichtlich im Schwinden begriffen. Der Einzelne suchte an Stellen, die ursprünglich nicht dafür gedacht waren, seinen Bedarf an Sozialaustausch (der Mensch als primär soziales Wesen!) zu befriedigen.

Dort war die Einsamkeit, die Unter-Kommunikation der Bedarfswecker für Gespräche. Heute ist – zumindest in der Arbeitswelt – die Über-Kommunikation mit ihrer Speak-and-run-Mentalität die Hauptursache für die Sehnsucht nach Gesprächen, die ihre Bezeichnung noch wert sind.

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